#1 – Jörg Bücker (2004)

Argumentationstheorie und interaktionale Linguistik

Während die Mehrzahl empirischer Studien sprachlich-argumentativen Handelns soziologisch und interaktionslinguistisch orientiert ist, stammen die etablierten und einflussreichen Argumentationstheorien überwiegend aus der Philosophie oder der Kommunikationswissenschaft. In der linguistischen Argumentationsforschung entwickelte sich im Rahmen der daraus resultierenden Diskussion um die angemessene Methodik der Argumentationsanalyse schon früh das Verhältnis von Theorie und Empirie zu einem grundlegenden Problem. Zahlreiche der komplexen und abstrakten Argumentationstheorien – insbesondere der philosophischen – lassen sich nur schwer und lediglich indirekt für die Analyse der linguistisch relevanten Aspekte von Argumentation nutzen. Bisher hat man meist zwei Wege zur Lösung des Methodenproblems verfolgt. Der eine Weg bestand in dem Versuch, die Kategorien von Argumentationstheorien im Datenmaterial deduktiv zu rekonstruieren, um so die betreffenden Argumentationstheorien zu be- oder zu widerlegen. Der andere Weg verfolgte das Ziel, die bisher im Rahmen der Gesprächsanalyse induktiv gewonnenen Erkenntnisse zur alltagssprachlichen Realisierung von Argumentation auf einer abstrakteren Ebene zu einer Argumentationstheorie zusammenzuführen. In der vorliegenden Arbeit wird ein dritter und vermittelnder Weg in Betracht gezogen. Es werden einige Voraussetzungen entwickelt und diskutiert, unter denen die Fragestellungen der einschlägigen Argumentationstheorien für ein gesprächsanalytisches Vorgehen in einer Weise nutzbar gemacht werden können, die über die bloße Rekonstruktion theoretischer Kategorien im Datenmaterial bzw. ihre Verifikation oder Falsifikation hinausgeht. Das Ziel der Arbeit ist es zu zeigen, dass die Erkenntnisse, die im Rahmen eines empirischen Vorgehens gewonnen werden, durch den Bezug auf geeignete Argumentationstheorien sinnvoll und strukturiert abstrahiert und theoretisch fruchtbar gemacht werden können.