#8 – Julia Schmitz-Hövener (2006)

Agoraphobie-Patienten erzählen – Sprachliche Verfahren bei der Darstellung von Panikanfällen

Angsterkrankungen gehören zu den häufigsten seelischen Leiden überhaupt. Darüber hinaus ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen, weil Angststörungen häufig nicht, oder erst sehr spät als solche diagnostiziert werden. Dabei kann die Unkenntnis der kommunikativen Darstellungsformen, die Betroffene anwenden, einer der Gründe für Fehldiagnosen sein. Dennoch gibt es nur wenige Arbeiten, die versuchen die Methodik und das Instrumentarium der linguistischen Gesprächsanalyse im Bereich “Angsterkrankungen” anzuwenden. Die vorliegende Untersuchung unternimmt diesen Versuch und will auf diese Weise einen Beitrag zur aktuellen Angstforschung leisten, der zum interdisziplinären Austausch und zum Beschreiten neuer Wege ermutigen soll. Mit Rückgriff auf die gesprächsanalytische Methodik werden narrative Interviews mit Agoraphobie-Patienten analysiert und Verfahren der kommunikativen Darstellung von Angsterleben erarbeitet. Dabei folgt die Untersuchung der Grundauffassung, dass die (narrative) Rekonstruktion von Panikerfahrungen und die (narrative) Auseinandersetzung mit der eigenen Angsterkrankung im Gespräch kommunikativen Regeln folgt und daher für sprachwissenschaftliche Analysen fruchtbar ist. Die Analyse berücksichtigt sowohl strukturelle und formale Aspekte der rhetorischen Darstellung von Angst, als auch inhaltliche Aspekte. Insofern werden auch Fragen der Identitätskonstruktion und der (metaphorischen) Konzeptualisierung von Panik behandelt und entsprechende Kategorien erarbeitet. Ziel der vorliegenden Untersuchung ist also die Rekonstruktion und Interpretation der sprachlichen Verfahren und Konzepte in Gesprächen mit Angstpatienten. Die Ergebnisse sind aufschlussreich für eine umfassende Phänomenologie der Angststärung Agoraphobie und sprechen in vielerlei Hinsicht für das Potenzial der linguistischen Gesprächsanalyse in medizinischen Kontexten. Eine praxisorientierte Perspektivierung am Schluss stellt daher die diagnostische und therapeutische Relevanz der Untersuchungsergebnisse zur Diskussion.