#4 – Timo Gausling (2004)

Der Newsgroup-Beitrag – eine kommunikative Gattung?

Die Ergebnisse bisheriger soziolinguistischer Untersuchungen der Kommunikationsprozesse im Usenet lassen darauf schließen, dass die Interaktion in Newsgroups Besonderheiten aufweist, die in ihrer spezifischen Kombination ein kommunikatives Format konstituieren, das sich trotz einiger Überschneidungen gegenüber verwandten netzbasierten Medien, wie Chat oder E-Mail, klar abgrenzen lässt und deutliche Verfestigungstendenzen aufweist. Ausgehend von dieser Annahme wird Thomas Luckmanns, von Günthner und Knoblauch erweitertes und für die Analyse gesprochener Sprache modifiziertes Konzept kommunikativer Gattungen als theoretischer Rahmen für eine Analyse deutschsprachiger Usenet-Beiträge herangezogen. Zu klären ist die Frage, ob das formale, inhaltliche und stilistische Format der untersuchten Newsgroup-Artikel aus zwei Gruppen der de.-Hierarchie (bereits) soweit verfestigt ist, dass es als kommunikative Gattung, als „historisch und kulturell spezifische, gesellschaftlich verfestigte und formalisierte Lösung[…] kommunikativer Probleme betrachtet [werden kann], deren Funktion in der Bewältigung, Vermittlung und Tradierung intersubjektiver Erfahrungen der Lebenswelt besteht.“ (Luckmann 1988: 283)
Tatsächlich zeigt die vorliegende Gattungsanalyse, bei der neben textinternen Merkmalen auch soziokulturelle Aspekte des Mediums sowie der „interaktive[…] Kontext des dialogischen Austauschs“ (Günthner 1995: 203) Berücksichtigung finden, dass dies innerhalb der untersuchten News-Hierarchien in hohem Maße der Fall ist. Bedingt wird dieses Ergebnis zum einen durch die über zwanzigjährige Tradition des Usenets in Verbindung mit einer Anwenderklientel, die das Medium meist über einen langen Zeitraum nutzt. Zum anderen stellt die spontane oder institutionalisierte autoreflexive Metakommunikation, die vorwiegend in administrativen Newsgroups mit teils normativer Funktion stattfindet, einen erheblichen gattungsstabilisierenden Faktor dar.

#3 – Emina Cerovina (2004)

Radio-Phone-Ins: zwischen Beratung und Medieninszenierung

Im Forschungsinteresse der vorliegenden Arbeit liegt es, die Interaktionsform ‘Beratungsgespräche im Radio’ anhand von authentischem Datenmaterial zu analysieren und die sprachlich-kommunikativen Mittel herauszustellen, die Interagierende in Radio-Beratungssendungen einsetzen. Zu diesem Zwecke wurde eine empirische Untersuchung von neun Radio-Gesprächen der Eins-Live-Sendung Domian durchgeführt, die methodisch auf den Prinzipien der linguistischen Gesprächsforschung bzw. der Konversationsanalyse basiert. Die Tatsache, dass die Radiosendung zugleich von einem großen Zuhörerpublikum verfolgt wird und somit als Unterhaltung medial inszeniert wird, bedingt, dass mitfühlende Beratung und bloße Medieninszenierung in diesem Gesprächstyp nahe beieinander liegen. Ziel der Analyse ist, am Datenmaterial nachzuweisen, wie der Gesprächstyp Beratungsgespräch interaktiv hergestellt wird, welche Organisation die Gespräche aufweisen und inwiefern der mediale Kontext die Gesprächsführung der Interagierenden beeinflusst. Es soll zudem veranschaulicht werden, wie der Moderator nach zwei Seiten hin kommuniziert, d.h. gleichzeitig ein auf die persönlichen Bedürfnisse des Anrufers zugeschnittenes Beratungsgespräch führt und für die Zuhörer eine interessante Sendung gestaltet.
Dabei stellt sich heraus, dass die analysierten Beratungsgespräche in Phasen organisiert sind und sowohl konstitutive Elemente, wie den Ratschlag und dessen Begründung, als auch optionale sprachliche Mittel aufweisen. Der Einfluss des medialen Kontextes auf die Gesprächsorganisation zeigt sich an den interaktiven Techniken des Moderators, der mittels Fragen, Unterbrechungen und unmittelbaren Anschlüssen das Gespräch thematisch steuert und versucht, dadurch das Interesse des Publikums zu halten. Die Strategien des Moderators durch direkte und indirekte Ansprache ein doppeltes “recipient design” zu verfolgen und den jeweiligen Anrufer und das Publikum zu adressieren, konnte in der Detailanalyse ebenfalls beobachtet werden.
In der Untersuchung tritt klar zutage, dass gewisse Faktoren in starkem Maße das interaktive Verhalten der Gesprächspartner, insbesondere das des Moderators, beeinflussen. Die vorliegende Arbeit thematisiert, dass Beratungsgespräche im Radio-Phone-In gewissen Zwängen unterliegen, wozu Zeitdruck, eine doppelte Rezipientenschaft, der Unterhaltungswert für die Zuhörer und eine zufrieden stellenden Beratung des Anrufers zählen.

#2 – Marc Strucken (2004)

Chat-SMS – eine Textsorte zwischen privater und öffentlicher Kommunikation

Diese Arbeit stellt einen Beitrag zum recht jungen Forschungsgebiet der “Neuen Medien” dar. Ziel ist es anhand einer ethnografisch angereicherten Gattungs- bzw. Textsortenanalyse, das spezifische Merkmalsprofil einer möglichen neuen, hybriden Textsorte “Chat-SMS” (CSMS) zu erarbeiten. Zur Diskussion stehen dabei etwa die Fragen, welchen Einfluss die Verschmelzung von Chat-Kommunikation und SMS hat, an welchen Konventionen sich die TeilnehmerInnen orientieren und, ob sich mit dem CSMS eine neue kommunikative Gattung etabliert. Die Grundlage dieser Untersuchung bildet ein 3442 Kurzmitteilungen umfassendes Korpus, das auf verschiedenen Seiten eines Videotextchats (RTL) erstellt wurde. In der empirischen Untersuchung werden die Charakteristika des CSMS mit den in der Forschungsliteratur beschriebenen Merkmalen des Internet-Chats und der privaten SMS-Kommunikation verglichen. Dabei werden primär die binnenstrukturelle und interaktionsbezogene Ebene fokussiert. Die Untersuchung veranschaulicht, dass sich bei der Turnorganisation und im Gebrauch von Mündlichkeitsmerkmalen neue und innovative Verfahren gebildet haben. Vor allem der Gebrauch der Modalpartikel “mal” in Kombination mit Inflektivkonstruktionen scheint sich als CSMS-spezifisches Merkmal zu verfestigen. Ebenso nutzen die TeilnehmerInnen des CSMS zur eigenen Inszenierung eine laterale Referenzierung – in teilweise abgekürzter Form – mit einer derartigen inhaltlichen Bandbreite, wie sie bislang nur für den CSMS nachgewiesen wurde.

#1 – Jörg Bücker (2004)

Argumentationstheorie und interaktionale Linguistik

Während die Mehrzahl empirischer Studien sprachlich-argumentativen Handelns soziologisch und interaktionslinguistisch orientiert ist, stammen die etablierten und einflussreichen Argumentationstheorien überwiegend aus der Philosophie oder der Kommunikationswissenschaft. In der linguistischen Argumentationsforschung entwickelte sich im Rahmen der daraus resultierenden Diskussion um die angemessene Methodik der Argumentationsanalyse schon früh das Verhältnis von Theorie und Empirie zu einem grundlegenden Problem. Zahlreiche der komplexen und abstrakten Argumentationstheorien – insbesondere der philosophischen – lassen sich nur schwer und lediglich indirekt für die Analyse der linguistisch relevanten Aspekte von Argumentation nutzen. Bisher hat man meist zwei Wege zur Lösung des Methodenproblems verfolgt. Der eine Weg bestand in dem Versuch, die Kategorien von Argumentationstheorien im Datenmaterial deduktiv zu rekonstruieren, um so die betreffenden Argumentationstheorien zu be- oder zu widerlegen. Der andere Weg verfolgte das Ziel, die bisher im Rahmen der Gesprächsanalyse induktiv gewonnenen Erkenntnisse zur alltagssprachlichen Realisierung von Argumentation auf einer abstrakteren Ebene zu einer Argumentationstheorie zusammenzuführen. In der vorliegenden Arbeit wird ein dritter und vermittelnder Weg in Betracht gezogen. Es werden einige Voraussetzungen entwickelt und diskutiert, unter denen die Fragestellungen der einschlägigen Argumentationstheorien für ein gesprächsanalytisches Vorgehen in einer Weise nutzbar gemacht werden können, die über die bloße Rekonstruktion theoretischer Kategorien im Datenmaterial bzw. ihre Verifikation oder Falsifikation hinausgeht. Das Ziel der Arbeit ist es zu zeigen, dass die Erkenntnisse, die im Rahmen eines empirischen Vorgehens gewonnen werden, durch den Bezug auf geeignete Argumentationstheorien sinnvoll und strukturiert abstrahiert und theoretisch fruchtbar gemacht werden können.