#9 – Tanja Bücker (2007)

Ethnolektale Varietäten des Deutschen im Sprachgebrauch Jugendlicher

Die folgende Arbeit stellt einen Beitrag zu dem noch recht jungen Forschungsfeld der Verbreitung verschiedenster Formen und Spielarten von Mehrsprachigkeitsmustern, sprachlichen Mischungsprozessen und Interaktionsformen dar, die sich insbesondere durch das Migrationsgeschehen und die demographischen Veränderungen der letzten Jahrzehnte in vielen Ländern entwickelt haben. Auf der Grundlage der Gesprächsanalyse und der Ethnographie der Kommunikation werden anhand von Leitfadeninterviews und Gesprächsaufzeichnungen, die im Raum Münster durchgeführt wurden, Kommunikationsformen männlicher Jugendlicher mit Migrationshintergrund untersucht. Dabei sollen in einem ersten Teil der Arbeit sprachliche Aspekte im Zentrum der Untersuchung stehen, indem auftretende ethnolektale Merkmale auf phonetisch-prosodischer, morphosyntaktischer und lexikalischer Ebene vor dem Hintergrund der in der Forschung dargestellten Ergebnisse beleuchtet werden. Im Anschluss daran soll in einem zweiten Analyseteil das Augenmerk auf das Interaktionsverhalten der Jugendlichen, auf ihre “kommunikativen sozialen Stile”, ihre “Identitätsakte”, auf Prozesse der Eigen- und Fremdinszenierung und damit auch auf Akte der Selbst- und Fremdkategorisierung gerichtet werden. Speziell dieser Teil der Arbeit macht das Repertoire der untersuchten Jugendlichen an vielschichtigen kommunikativen, kreativen und spielerischen Praktiken – wie polyphones Sprechen, mediale Re-Inszenierungen und rituelle Beschimpfungen – deutlich. Während es zweifelsohne viele Jugendliche gibt, die nicht zwischen einer so genannten Ingroup- und Outgroup-Sprache und zwischen ethnolektalen und standardnahen Varietäten unterscheiden können, reflektieren einige Probanden durchaus über ihren Sprachgebrauch und grenzen sich sogar demonstrativ von Jugendlichen aus ihrem lokalen Umfeld oder von Mitgliedern der eigenen ethnischen Gruppe ab. Diese verschiedenen Kommunikations- und Kategorisierungsprozesse unterstreichen die komplexe und dynamische Natur kommunikativen Handelns und die Definitionsschwierigkeiten von Ethnizität. Die in den Untersuchungen beobachtete Verwendung verschiedener Sprech- und Kommunikationsstile verweist auf die komplexe Wechselbeziehung zwischen Sprache und ethnischer Zugehörigkeit und gibt Auskunft über die vorherrschende Hybridität, die die Aushandlung der sozio-kulturellen Identität speziell Migrantenjugendlicher der zweiten und dritten Generation kennzeichnet.