#11 – Joanna Averbeck (2007)

Positionierung im autobiographischen Erzählen älterer Menschen

Wie Menschen über sich selbst und andere sprechen, wie sie vergangene und gegenwärtige Ereignisse, Erlebnisse und Erfahrungen bewerten, spielt in vielen Gesprächen eine Rolle. Wir versuchen ein Bild von uns selbst zu entwerfen, mit dem wir, je nach Kontext ‘Antwort’ auf die ‘Frage’ geben wollen, wer wir sind und vor allem, wie wir vom Gegenüber gesehen werden wollen. Wenn ich von mir selbst spreche, versuche ich gegenüber dem Gesprächspartner häufig eine bestimmte Position einzunehmen und mich ins “rechte Licht” zu rücken. Je nach Gesprächsverlauf kann es immer wieder notwendig sein, die “Position”, das heißt das Bild, das ich im Gespräch von mir schaffe und das sich der Gesprächsteilnehmer von mir macht, zu ändern und zuvor Gesagtes zu revidieren, zu wiederholen oder anders darzustellen.
Dieser dynamischen Art des “Sich-Selbst-Darstellens” kommt in autobiographischen Erzählungen eine besondere Bedeutung zu. In ihnen beschreiben die Erzähler nicht nur sich selbst und ihren Lebenslauf, sondern sie erzählen in der Hier-und-Jetzt- Perspektive von ihrer Vergangenheit, stellen Ereignisse, an denen sie selbst und andere beteiligt waren, aus ihrer subjektiven Sicht dar und positionieren mit der Art ihrer Erzählung sich selbst und andere gegenüber ihrem Interaktionspartner. Diese Selbst- und Fremdpositionierungen, wie Gabriele Lucius-Hoene und Arnulf Deppermann sie bezeichnen, sind der Gegenstand dieser Magisterarbeit. Auf der Grundlage des Arbeitsbuches “Rekonstruktion narrativer Identität” von Lucius-Hoene und Deppermann und auf der in der discursive psychology entwickelten “Positioning Analysis”, werden die Erzählungen älterer, nicht mehr erwerbstätiger Menschen hinsichtlich ihrer Selbst- und Fremdpositionierungen näher untersucht. Grundsätzlich folgt die Analyse der Interviews den Methoden der Gesprächsanalyse.
Die Erzählungen der Informanten werden sowohl als ‘Ethnokategorie’ als auch als wissenschaftliche Kategorie beschrieben. In der Sequenzanalyse werden vornehmlich rhetorische Verfahren betrachtet, mit denen die Informanten ihre Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Gruppen zum Ausdruck bringen. Es wird untersucht, wie die Informanten sprachlich ein Bild von sich selbst konstruieren, indem sie sich zum Beispiel von anderen Personen distanzieren oder ihre Position zu moralischen Fragestellungen darstellen.
Soziale Kategorien wie zum Beispiel das Alter, denen sich die Informanten in ihren Erzählungen zuordnen, sind von zentraler Bedeutung für den Untersuchungsgegenstand. Es wird deshalb das von Harvey Sacks entwickelte Konzept der membership categorisation devices erläutert. Weiterhin sind die Konzepte ‘Altersstil’ und ‘Stile des Alters’ von Bedeutung. Es wird die These beleuchtet, inwiefern das Alter – und daneben auch andere soziale Kategorien – in den Erzählungen der Informanten eine Rolle spielen.
Darüber hinaus liegt der Untersuchung ein bestimmtes dynamisches Identitätskonzept zu Grunde. Dieses soll verdeutlichen, wie sich im autobiographischen Erzählen “soziale Identität” sprachlich manifestiert, von den Informanten konstruiert wird und durch die Analyse der Erzähltexte rekonstruiert werden kann. Identität wird in diesem Kontext als eine ‘veränderliche Größe’ verstanden, die aus unterschiedlichen Teilidentitäten besteht und situativ immer wieder neu inszeniert werden kann. Besondere Aufmerksamkeit gilt auch solchen Erzählpassagen, in denen die Informanten ihre Erzählperspektive wechseln und beispielsweise vom Imperfekt ins Präsens switchen. Es wird der Frage nachgegangen, welche Funktion derartige sprachliche Verfahren für die Selbstdarstellung der Informanten haben und sie im Sinne Goffmans auf ein bestimmtes ‘Impression Management’ zurückgreifen. Schließlich soll die Untersuchung zeigen, inwieweit die Positionierungen der Informanten als glaubwürdig und somit als erfolgreich bzw. als unglaubwürdig und damit eher als erfolglos betrachtet werden können.
Das Korpus der Arbeit besteht aus sechs narrativen Interviews, die mit Informanten und Informantinnen im Alter zwischen 57 und 80 Jahren geführt wurden.

#10 – Elena Christina Dullat (2007)

Zum historischen Wandel der Textsorte Todesanzeige

Die Textsorte “Todesanzeige” ist uns als Anzeigentypus der Zeitung wohl vertraut und (meist) als solche auch auf den ersten Blick erkennbar. In den vergangenen Jahren zeichnet sich allerdings die Entwicklung ab, dass die “typische” graphische Gestaltung sowie auch die bisher charakteristischen inhaltlichen Merkmale keine Obligatorik dieser Textsorte mehr bilden, sondern vielmehr eine größere Vielfalt bei der Produktion von Todesanzeigen herrscht. Dass sich Texte bzw. Textsorten im Verlauf von 150 Jahren in ihren Ausprägungen, in ihren Formulierungsweisen und Schablonen verändern und somit einem Wandel unterworfen sind, dass sie dabei kulturell bedingt sind und somit nichts Starres und Unveränderliches darstellen, will die folgende Arbeit zeigen. Insbesondere Todesanzeigen als “Spiegel eines kulturellen Todesverständnisses” eignen sich dazu, aufzuzeigen, dass Textsorten zwar auf der einen Seite eine relativ stabile Erscheinung sind, auf der anderen Seite aber zeitlich unbeständig und nicht unabänderlich in ihrer formalen Ausprägung sind. Auf der Grundlage von 257 privaten Todesanzeigen der Jahre 1849 bis 2005 die in den Münsteraner Zeitungen “Westfälischer Merkur” und “Westfälische Nachrichten” veröffentlicht wurden, soll aufgezeigt werden, dass es heute bei der Produktion von Todesanzeigen immer weniger Restriktionen zu geben scheint, der individuellen Gestaltung kaum noch Grenzen gesetzt werden und gegenwärtig in den meisten Fällen vielmehr von einer “Traueranzeige” als Ausdruck der Trauer (der Hinterbliebenen) als von einer “Todesanzeige”, die den Todesfall einer Person anzeigt, die Rede sein kann. Zudem wird thematisiert, dass sich diese Entwicklung auch abseits des Mediums Zeitung, nämlich in speziellen Internetforen nachzeichnen lässt, die als Besonderheit eine neue mediale Form des Umgangs mit Trauer darstellen und dabei beispielsweise auf Versatzstücke der chat-Kommunikation (Inflektivformen etc.) zurückgreifen.

 

#9 – Tanja Bücker (2007)

Ethnolektale Varietäten des Deutschen im Sprachgebrauch Jugendlicher

Die folgende Arbeit stellt einen Beitrag zu dem noch recht jungen Forschungsfeld der Verbreitung verschiedenster Formen und Spielarten von Mehrsprachigkeitsmustern, sprachlichen Mischungsprozessen und Interaktionsformen dar, die sich insbesondere durch das Migrationsgeschehen und die demographischen Veränderungen der letzten Jahrzehnte in vielen Ländern entwickelt haben. Auf der Grundlage der Gesprächsanalyse und der Ethnographie der Kommunikation werden anhand von Leitfadeninterviews und Gesprächsaufzeichnungen, die im Raum Münster durchgeführt wurden, Kommunikationsformen männlicher Jugendlicher mit Migrationshintergrund untersucht. Dabei sollen in einem ersten Teil der Arbeit sprachliche Aspekte im Zentrum der Untersuchung stehen, indem auftretende ethnolektale Merkmale auf phonetisch-prosodischer, morphosyntaktischer und lexikalischer Ebene vor dem Hintergrund der in der Forschung dargestellten Ergebnisse beleuchtet werden. Im Anschluss daran soll in einem zweiten Analyseteil das Augenmerk auf das Interaktionsverhalten der Jugendlichen, auf ihre “kommunikativen sozialen Stile”, ihre “Identitätsakte”, auf Prozesse der Eigen- und Fremdinszenierung und damit auch auf Akte der Selbst- und Fremdkategorisierung gerichtet werden. Speziell dieser Teil der Arbeit macht das Repertoire der untersuchten Jugendlichen an vielschichtigen kommunikativen, kreativen und spielerischen Praktiken – wie polyphones Sprechen, mediale Re-Inszenierungen und rituelle Beschimpfungen – deutlich. Während es zweifelsohne viele Jugendliche gibt, die nicht zwischen einer so genannten Ingroup- und Outgroup-Sprache und zwischen ethnolektalen und standardnahen Varietäten unterscheiden können, reflektieren einige Probanden durchaus über ihren Sprachgebrauch und grenzen sich sogar demonstrativ von Jugendlichen aus ihrem lokalen Umfeld oder von Mitgliedern der eigenen ethnischen Gruppe ab. Diese verschiedenen Kommunikations- und Kategorisierungsprozesse unterstreichen die komplexe und dynamische Natur kommunikativen Handelns und die Definitionsschwierigkeiten von Ethnizität. Die in den Untersuchungen beobachtete Verwendung verschiedener Sprech- und Kommunikationsstile verweist auf die komplexe Wechselbeziehung zwischen Sprache und ethnischer Zugehörigkeit und gibt Auskunft über die vorherrschende Hybridität, die die Aushandlung der sozio-kulturellen Identität speziell Migrantenjugendlicher der zweiten und dritten Generation kennzeichnet.