Selbstdarstellung und Urteilsfindung in universitären Auswahlgesprächen zwischen Deutschen und Chinesen – Eine empirische Gattungsanalyse
In der heutigen Zeit der fortschreitenden Globalisierung und Internationalisierung unserer Lebenswelt stellen Auslandsaufenthalte eine immer wichtigere Qualifikation für Studierende dar. Der Austausch zwischen StudentInnen verschiedenster Nationen bildet damit zum einen für die jungen Menschen eine spannende und nachhaltige Erfahrung und bereichert auf der anderen Seite ebenso die Universitäten in wissenschaftlicher und kultureller Hinsicht. Um zuverlässig geeignete KandidatInnen für die begehrten Stipendien, Praktika oder betreuten Auslandsstudienplätze auszusuchen, werden Gespräche zwischen VertreterInnen der Bildungsinstitutionen und studentischen InteressentInnen geführt, in denen ein Abgleich zwischen dem Anforderungsprofil und den Qualifikationen bzw. Kompetenzen der interessierten Studierenden erfolgen kann. Diese universitären Auswahlgespräche stellen – ähnlich wie Bewerbungsgespräche in wirtschaftlichen Unternehmen – eine kommunikative Gattung dar, mit deren Hilfe die institutionelle Aufgabe der Selektion von BewerberInnen gelöst wird. Die dieser Arbeit zugrunde liegenden Gesprächsdaten wurden an einer Fremdsprachenuniversität in Zentralchina erhoben und weisen charakteristische, gattungstypische Merkmale auf, die in vielerlei Hinsicht spannende Anknüpfungspunkte für eine linguistische Analyse bieten: Dozentin, KandidatIn und Protokollantin agieren in einem (zeitlich festgelegten) institutionellen Rahmen in zugewiesenen Interaktionsrollen auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen. Jede/r der Interagierenden verfolgt dabei spezifische Ziele und wirkt durch die eigenen Handlungen interaktiv an der Gestaltung des Auswahlgesprächs mit. Zudem sind Dozentin und Protokollantin deutscher und die KandidatInnen chinesischer Staatsangehörigkeit, was ebenfalls Einfluss auf die Gespräche nehmen kann. Folgende Fragestellungen leiteten die Analyse der Daten:
1. Welche kommunikativen Handlungen der TeilnehmerInnen tragen zur interaktiven Hervorbringung der Gattung ‚Auswahlgespräch‘ bei?
2. Wie lassen sich die Interaktionsrollen der Beteiligten charakterisieren und an welche spezifischen Ziele sind diese gebunden?
3. Welche kommunikativen Strategien werden genutzt, um diese Ziele zu erreichen?
4. Welche thematischen Verfestigungen zeigen sich in den Gesprächen?
5. Welche Beurteilungskriterien liegen der institutionellen Entscheidung zugrunde?
6. Inwiefern nimmt der Faktor der kulturellen Zugehörigkeit Einfluss auf die Gespräche bzw. zu welchem Zweck wird er gezielt relevant gesetzt?
Die fortschreitende Globalisierung und Vernetzung der Universitäten zeigt schon heute einen regen kulturellen Austausch in der Wissenschaft, der in Zukunft weiter zunehmen wird. Die Analyse des hier vorliegenden Datenmaterials zeigt, dass universitäre Auswahlgespräche als gatekeeping-Situationen eine wichtige Aufgabe im Kontext der Hochschulkommunikation erfüllen und zu ihrer institutionellen Weiterentwicklung beitragen. Diese ‚Schlüsselstellen̒ näher in den Blick zu nehmen und linguistisch zu untersuchen, bietet damit eine vielschichtige Perspektive auf Abläufe und Interessen der Institution, die durch die kommunikativen Handlungen ihrer VertreterInnen tagtäglich immer wieder neu hergestellt und aufrecht erhalten wird.