Prosodie in Alltagserzählungen. Zur Konstitution von kohäsiven Einheiten
Schon als Tier hat der Mensch Sprache. Alle heftigen und die heftigsten unter den heftigen, die schmerzhaften Empfindun- gen seines Körpers, alle starke Leidenschaften seiner Seele äußern sich unmittelbar in Geschrei, in Töne, in wilde, un-artikulierte Laute. (Herder 1776: 5) Folgt man Herders Idee, dass der Ursprung der Sprache im Ausdruck von Gefühlen, vor allem von Schmerzempfinden liegt und existentiell mit einem (instinktivem) Bedürfnis nach Mitteilung verbunden ist, so überrascht es geradezu, dass dem Ton der gesprochenen Sprache in der heutigen Zeit keine primäre Aufmerksamkeit gewidmet wird und das Reden eine unter vielen Kommunikationsarten geworden ist. Dabei ist es vor allem der Ton, wissenschaftlich ausgedrückt die Prosodie, die dazu beitragen kann, dass eine Unterhaltung funktioniert, dass sie strukturiert wird und dass Gefühle, Stimmungen oder Befindlichkeiten und damit Bedeutungen übermittelt werden. Dass das alltägliche Sprechen miteinander funktioniert, liegt auch an konventionell und kulturell verankerten Formen, von denen das Erzählen eine ist. Als rekonstruktive Gattung bieten Erzählungen und narrative Sequenzen die Möglichkeit, das Rederecht über einen längeren Zeitraum an einen Erzähler/eine Erzählerin zu übergeben. Dabei können die einzelnen Abschnitte oder auch Phasen einer Erzählung aufgrund des interaktiven Charakters von Alltagsgesprächen unterbrochen, abgebrochen, ergänzt, erweitert werden, ohne von der eigentlichen narrativen Struktur abzuweichen. Ein Mittel, um diese eingeschobenen Sequenzen als eben solche Einschübe zu markieren, ist der Einsatz von prosodischen Phänomenen. Mittels prosodischer Konturen können auditiv wahrnehmbar kohäsive Einheiten konstruiert werden, die als Nebensequenzen interpretiert werden können. Dies wird in der vorliegenden Arbeit anhand von Praat- und Transkriptanalysen verdeutlicht werden.