#6 – Julia Kaufhold (2005)

Interaktionen zwischen Prüfern und Deutschlernenden in mündlichen Sprachprüfungen –
Eine Untersuchung zum Lachverhalten

Die hier veröffentlichte Arbeit stellt einen Beitrag zum weiten und gleichsam heterogenen Forschungsfeld rund um die Analyse institutioneller Interaktionen dar. Untersucht wird das paraverbale Phänomen Lachen innerhalb des institutionalisierten Gesprächstyps mündliche Deutschprüfung. Diese kommunikative Gattung zeichnet sich plakativ durch eine zweifache Asymmetrie zwischen den Interagierenden aus, bedingt durch ungleichmäßig verteilte Sprachkompetenzen und unterschiedliche Handlungsrollen (Prüfer(in) und Prüfling). Lachen verweist auf diese Aspekte, zugleich werden sie durch das Lachen der Interaktionsteilnehmer(innen) (re-)produziert.
Ziel der empirischen Analyse ist es, die funktionale Spannbreite von Lachen in Prüfungsgesprächen aufzudecken, und deutlich zu machen, zur Erreichung welcher kommunikativen Ziele Lachen strategisch eingesetzt wird. Grundlage dieser qualitativen Untersuchung bildet ein 18 Prüfungsgespräche umfassendes Korpus, das an zwei Sprachschulen in NRW und in Bayern erhoben wurde.
Die Untersuchung veranschaulicht, dass Lachen in mündlichen Sprachprüfungen eine hochgradig sensible Angelegenheit darstellt, da in ihm gegensätzliche funktionale Merkmale vereint sind: so u.a. situative Spannungsabfuhr und aggressive Degradierung, Gesichtsschutz und Gesichtsbedrohung, In- und Outgroupmarkierung und die Verkleinerung bzw. Vergrößerung von Statusunterschieden. Insbesondere das reflexive Moment des analysierten Phänomens wird herausgestellt, wobei hier Gumperz’ Konzept der Kontextualisierung und damit ein reflexiver Kontextbegriff zugrunde gelegt wird: Lachen taucht innerhalb eines bestimmten Kontextes (Prüfungsgespräch) auf, ist somit kontextabhängig; gleichzeitig aber produzieren die Interagierenden durch ihr Lachen erst einen bestimmten Kontext und so auch die für die Gattung “mündliche Sprachprüfung” konstitutiven Asymmetrien.

#5 – Jutta Knollmann (2005)

Interview und Alltagsgespräch – Hybridformen im Fernsehen

In dieser Magisterarbeit wird der Frage nachgegangen, inwieweit kommunikative Muster der Alltagskommunikation in mediale Kontexte übertragen werden und ob es zu Hybridbildungen zwischen kommunikativen Gattungen der Alltagskommunikation und der Medienkommunikation kommen kann. Ausgangspunkt ist das Konzept der kommunikativen Gattungen und die Annahme, dass im Alltag selten homogene Gattungsmuster realisiert werden und es in der Regel zu hybriden Konstruktionen kommt, die zum Beispiel aus der Modifikation an die soziale Beziehung der Teilnehmer, dem situativen Kontext o.ä. resultieren können.
Grundlage der empirischen Analyse bildet eine Talkshow-Reihe, die im Sommersonderprogramm des WDR mit dem Titel Sommergäste erschien. Diese Sendung hebt sich durch ihre besondere Konzeption von üblichen Talkshow-Formaten ab und bietet sich für die Analyse besonders an, weil explizit versucht wird, ein Tischgespräch unter Freunden zu inszenieren. Es wird bewusst auf den Mischcharakter der Gattung “Talkshow” gesetzt.
Leitfragen der Analyse sind: Durch welche kommunikativen Handlungen tragen die Teilnehmer zu einer Konstruktion der Gattung Talkshow bei? Führt die Konzeptionalisierung der Talkshow im Sinne einer Inszenierung von Alltagskommunikation zu einem veränderten Rollenverhalten der Teilnehmer? Gibt es Grenzen der Gattung, die bei Überschreitung die Rahmung als Mediengespräch bedrohen? Kann man die Sendung Sommergäste als Hybridform bezeichnen?

#4 – Timo Gausling (2004)

Der Newsgroup-Beitrag – eine kommunikative Gattung?

Die Ergebnisse bisheriger soziolinguistischer Untersuchungen der Kommunikationsprozesse im Usenet lassen darauf schließen, dass die Interaktion in Newsgroups Besonderheiten aufweist, die in ihrer spezifischen Kombination ein kommunikatives Format konstituieren, das sich trotz einiger Überschneidungen gegenüber verwandten netzbasierten Medien, wie Chat oder E-Mail, klar abgrenzen lässt und deutliche Verfestigungstendenzen aufweist. Ausgehend von dieser Annahme wird Thomas Luckmanns, von Günthner und Knoblauch erweitertes und für die Analyse gesprochener Sprache modifiziertes Konzept kommunikativer Gattungen als theoretischer Rahmen für eine Analyse deutschsprachiger Usenet-Beiträge herangezogen. Zu klären ist die Frage, ob das formale, inhaltliche und stilistische Format der untersuchten Newsgroup-Artikel aus zwei Gruppen der de.-Hierarchie (bereits) soweit verfestigt ist, dass es als kommunikative Gattung, als „historisch und kulturell spezifische, gesellschaftlich verfestigte und formalisierte Lösung[…] kommunikativer Probleme betrachtet [werden kann], deren Funktion in der Bewältigung, Vermittlung und Tradierung intersubjektiver Erfahrungen der Lebenswelt besteht.“ (Luckmann 1988: 283)
Tatsächlich zeigt die vorliegende Gattungsanalyse, bei der neben textinternen Merkmalen auch soziokulturelle Aspekte des Mediums sowie der „interaktive[…] Kontext des dialogischen Austauschs“ (Günthner 1995: 203) Berücksichtigung finden, dass dies innerhalb der untersuchten News-Hierarchien in hohem Maße der Fall ist. Bedingt wird dieses Ergebnis zum einen durch die über zwanzigjährige Tradition des Usenets in Verbindung mit einer Anwenderklientel, die das Medium meist über einen langen Zeitraum nutzt. Zum anderen stellt die spontane oder institutionalisierte autoreflexive Metakommunikation, die vorwiegend in administrativen Newsgroups mit teils normativer Funktion stattfindet, einen erheblichen gattungsstabilisierenden Faktor dar.

#3 – Emina Cerovina (2004)

Radio-Phone-Ins: zwischen Beratung und Medieninszenierung

Im Forschungsinteresse der vorliegenden Arbeit liegt es, die Interaktionsform ‘Beratungsgespräche im Radio’ anhand von authentischem Datenmaterial zu analysieren und die sprachlich-kommunikativen Mittel herauszustellen, die Interagierende in Radio-Beratungssendungen einsetzen. Zu diesem Zwecke wurde eine empirische Untersuchung von neun Radio-Gesprächen der Eins-Live-Sendung Domian durchgeführt, die methodisch auf den Prinzipien der linguistischen Gesprächsforschung bzw. der Konversationsanalyse basiert. Die Tatsache, dass die Radiosendung zugleich von einem großen Zuhörerpublikum verfolgt wird und somit als Unterhaltung medial inszeniert wird, bedingt, dass mitfühlende Beratung und bloße Medieninszenierung in diesem Gesprächstyp nahe beieinander liegen. Ziel der Analyse ist, am Datenmaterial nachzuweisen, wie der Gesprächstyp Beratungsgespräch interaktiv hergestellt wird, welche Organisation die Gespräche aufweisen und inwiefern der mediale Kontext die Gesprächsführung der Interagierenden beeinflusst. Es soll zudem veranschaulicht werden, wie der Moderator nach zwei Seiten hin kommuniziert, d.h. gleichzeitig ein auf die persönlichen Bedürfnisse des Anrufers zugeschnittenes Beratungsgespräch führt und für die Zuhörer eine interessante Sendung gestaltet.
Dabei stellt sich heraus, dass die analysierten Beratungsgespräche in Phasen organisiert sind und sowohl konstitutive Elemente, wie den Ratschlag und dessen Begründung, als auch optionale sprachliche Mittel aufweisen. Der Einfluss des medialen Kontextes auf die Gesprächsorganisation zeigt sich an den interaktiven Techniken des Moderators, der mittels Fragen, Unterbrechungen und unmittelbaren Anschlüssen das Gespräch thematisch steuert und versucht, dadurch das Interesse des Publikums zu halten. Die Strategien des Moderators durch direkte und indirekte Ansprache ein doppeltes “recipient design” zu verfolgen und den jeweiligen Anrufer und das Publikum zu adressieren, konnte in der Detailanalyse ebenfalls beobachtet werden.
In der Untersuchung tritt klar zutage, dass gewisse Faktoren in starkem Maße das interaktive Verhalten der Gesprächspartner, insbesondere das des Moderators, beeinflussen. Die vorliegende Arbeit thematisiert, dass Beratungsgespräche im Radio-Phone-In gewissen Zwängen unterliegen, wozu Zeitdruck, eine doppelte Rezipientenschaft, der Unterhaltungswert für die Zuhörer und eine zufrieden stellenden Beratung des Anrufers zählen.

#2 – Marc Strucken (2004)

Chat-SMS – eine Textsorte zwischen privater und öffentlicher Kommunikation

Diese Arbeit stellt einen Beitrag zum recht jungen Forschungsgebiet der “Neuen Medien” dar. Ziel ist es anhand einer ethnografisch angereicherten Gattungs- bzw. Textsortenanalyse, das spezifische Merkmalsprofil einer möglichen neuen, hybriden Textsorte “Chat-SMS” (CSMS) zu erarbeiten. Zur Diskussion stehen dabei etwa die Fragen, welchen Einfluss die Verschmelzung von Chat-Kommunikation und SMS hat, an welchen Konventionen sich die TeilnehmerInnen orientieren und, ob sich mit dem CSMS eine neue kommunikative Gattung etabliert. Die Grundlage dieser Untersuchung bildet ein 3442 Kurzmitteilungen umfassendes Korpus, das auf verschiedenen Seiten eines Videotextchats (RTL) erstellt wurde. In der empirischen Untersuchung werden die Charakteristika des CSMS mit den in der Forschungsliteratur beschriebenen Merkmalen des Internet-Chats und der privaten SMS-Kommunikation verglichen. Dabei werden primär die binnenstrukturelle und interaktionsbezogene Ebene fokussiert. Die Untersuchung veranschaulicht, dass sich bei der Turnorganisation und im Gebrauch von Mündlichkeitsmerkmalen neue und innovative Verfahren gebildet haben. Vor allem der Gebrauch der Modalpartikel “mal” in Kombination mit Inflektivkonstruktionen scheint sich als CSMS-spezifisches Merkmal zu verfestigen. Ebenso nutzen die TeilnehmerInnen des CSMS zur eigenen Inszenierung eine laterale Referenzierung – in teilweise abgekürzter Form – mit einer derartigen inhaltlichen Bandbreite, wie sie bislang nur für den CSMS nachgewiesen wurde.

#1 – Jörg Bücker (2004)

Argumentationstheorie und interaktionale Linguistik

Während die Mehrzahl empirischer Studien sprachlich-argumentativen Handelns soziologisch und interaktionslinguistisch orientiert ist, stammen die etablierten und einflussreichen Argumentationstheorien überwiegend aus der Philosophie oder der Kommunikationswissenschaft. In der linguistischen Argumentationsforschung entwickelte sich im Rahmen der daraus resultierenden Diskussion um die angemessene Methodik der Argumentationsanalyse schon früh das Verhältnis von Theorie und Empirie zu einem grundlegenden Problem. Zahlreiche der komplexen und abstrakten Argumentationstheorien – insbesondere der philosophischen – lassen sich nur schwer und lediglich indirekt für die Analyse der linguistisch relevanten Aspekte von Argumentation nutzen. Bisher hat man meist zwei Wege zur Lösung des Methodenproblems verfolgt. Der eine Weg bestand in dem Versuch, die Kategorien von Argumentationstheorien im Datenmaterial deduktiv zu rekonstruieren, um so die betreffenden Argumentationstheorien zu be- oder zu widerlegen. Der andere Weg verfolgte das Ziel, die bisher im Rahmen der Gesprächsanalyse induktiv gewonnenen Erkenntnisse zur alltagssprachlichen Realisierung von Argumentation auf einer abstrakteren Ebene zu einer Argumentationstheorie zusammenzuführen. In der vorliegenden Arbeit wird ein dritter und vermittelnder Weg in Betracht gezogen. Es werden einige Voraussetzungen entwickelt und diskutiert, unter denen die Fragestellungen der einschlägigen Argumentationstheorien für ein gesprächsanalytisches Vorgehen in einer Weise nutzbar gemacht werden können, die über die bloße Rekonstruktion theoretischer Kategorien im Datenmaterial bzw. ihre Verifikation oder Falsifikation hinausgeht. Das Ziel der Arbeit ist es zu zeigen, dass die Erkenntnisse, die im Rahmen eines empirischen Vorgehens gewonnen werden, durch den Bezug auf geeignete Argumentationstheorien sinnvoll und strukturiert abstrahiert und theoretisch fruchtbar gemacht werden können.